Ist ein „nicht-objektierendes Denken“ möglich? Zur Kritik an der Unterscheidung Name vs. Ding in Platons „Kratylos“

Seit mehr als 30 Jahren denke ich nach, ob es möglich und sinnvoll ist, „nicht-objektierend“ zu denken, wie dies der österreichische Philosoph Josef Mitterer vorgeschlagen hat. Das Thema war schon in meiner Dissertation und in meiner Habil-Schrift prägend. Es handelt sich entweder um Schabernack (dann müsste Mitterer widerlegbar sein) oder um eine Grundlagen-Revolution. Meine Kritik an der Start-Unterscheidung von Name vs. Ding in Platons „Kratylos“ wurde nun im Velbrück Magazin publiziert.

Quelle: https://velbrueck-magazin.de/2025/09/29/die-unhinterfragte-denkvoraussetzung-von-namen-und-dingen-in-platons-kratylos

Es handelt sich um meine bisher wichtigste Arbeit, die alle philosophischen Gehversuche vor meinem ersten Band zum „Radikalen Lingualismus“ (erschienen 2022 bei Velbrück Wissenschaft) endgültig für Schrott erklärt.

Interessant ist, dass sich die unhinterfragt vorausgesetzte Unterscheidung von Namen und Dingen auch in den Anfängen der indischen und der chinesischen Philosophie findet, und zwar in Indien bei Yāska (im „Nirukta“) und in China bei Mozi (im „Mohistischen Kanon“) – in China übrigens stärker expliziert als in Indien, Indien ist also schon damals etwas „non-dualistischer“ gewesen. Da bin ich erst diesen Sommer draufgekommen. Die Unterscheidung war also zu Beginn des philosophischen Denkens in allen wesentlichen Kulturen einfach da und wurde nicht weiter problematisiert. Man könnte fast sagen: so wie die Unterscheidungen, dass es Himmel und Erde gibt, Götter und Menschen, unsterbliche Seelen und sterbliche Körper oder ein Leben nach dem Tod und ein Leben vor dem Tod. Die lange Geschichte der von unseren Denkkategorien verschiedenen Dingwelt gipfelte in der res extensa und im „Ding an sich“. (Davon mehr in Band 3 zum „Radikalen Lingualismus“ im nächsten Jahr, wieder bei Velbrück Wissenschaft – in diesem Verlag erscheinen auch die Bücher von Josef Mitterer.)

Das Killer-Argument gegen Josef Mitterer (und mich, sofern ich Mitterer nunmehr endlich ‚bedenkenlos‘ folgen will) ist bekanntlich: Das Universum ist viel älter als die Sprache. Also stimme die Unterscheidung von Sprache und Wirklichkeit. Sie wurde im 5.-4. Jhdt. v. Chr. vielleicht stillschweigend vorausgesetzt, aber spätestens im 20. Jahrhundert n. Chr. naturwissenschaftlich endgültig bewiesen. Das ist das Kernargument der Neuen Realisten wie Meillassoux, Boghossian, Gabriel u.a.

Dem hält Mitterer nun entgegen: Die Benennung ist immer zuerst (oder von mir aus die Einheit von Wort und bezeichnetem Ding, hier also nun „bezeichnetes Ding“). Die Unterscheidung von Benennung und Ding kann logisch wie zeitlich immer erst danach kommen. Mittlerweile ist Zeit verflossen, Mitterers „Während der Beschreibung“ – und auch diese Erkenntnis ist erst nach der Beschreibung möglich, als nächste Beschreibung.

Mitterer schrieb schon in den allerersten Zeilen seines Hauptwerks „Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualistische Erkenntnisprinzip“ (1992, S. 11; Druckfassung seiner Dissertation aus dem Jahr 1978):

„Der Problemkanon der Philosophie, vor allem jener der Erkenntnistheorie, hat sich seit Platon nur wenig verändert. Die Probleme haben die Versuche, sie zu lösen, überdauert.“

Mitterer sagt nun, dass das daran liegt, dass man im Gefolge Platons stets zwischen Sprache und Wirklichkeit kategorial unterschieden hat. Dieser Forschungsfrage habe ich mich nun ausführlich gewidmet.

1 Kommentare zu “Ist ein „nicht-objektierendes Denken“ möglich? Zur Kritik an der Unterscheidung Name vs. Ding in Platons „Kratylos“

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  1. Joachim Nusch

    Sehr geehrter Dr. Weber,

    durch einen Radiobeitrag bei „Kontrafunk“ bin ich heute auf Sie und Ihre Arbeit aufmerksam geworden. Im Anschluss habe ich Ihren Blog besucht und mir insbesondere Ihren sehr interessanten Beitrag zur „Ehrlichkeit“ angesehen, den Sie unter der Überschrift: „Ist ein „nicht-objektierendes Denken“ möglich?“ , auf Ihrer Seite teilen.

    Mich hat besonders Ihre Erwähnung von „Yāska“ im „„Nirukta“ angesprochen. Wer kennt dieses Wort schon? Es ist ein Begriff, der heute in der Tat oft wenig verstanden wird, da er Kommunikationsebenen einbezieht, die in der modernen Betrachtung meist völlig vernachlässigt werden.

    Ich selbst beschäftige mich aktuell intensiv mit diesen Themen:

    1. Ich arbeite an einem Text über das sogenannte „Vak-Karma“ für ein geplantes Buch über „Kommunikation und Sprache“.
    2. Zudem verfasse ich ein zweites Werk über die „HLI-Theorie“ (Holistic Leadership Intelligence), das einen radikal neuen Ansatz für Leadership und Management entwickelt.

    Da Ihre Äußerungen im heutigen Radiobeitrag exakt meinen Forschungsfokus berühren, teile ich Ihnen gerne einen Kommentar mit einem Auszug aus meinen Texten mit, „Die verlorene Stimme der Wahrheit“, den Sie in der angehängten Datei finden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Joachim Nusch

    Die verlorene Stimme der Wahrheit

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