Ich habe das Gefühl, dass es in Österreich eher tabu ist, die Entscheidungen und die in diesen Entscheidungen enthaltenen Interpretationen der drei Höchstgerichte OGH (Oberster Gerichtshof), VwGH (Verwaltungsgerichtshof) und VfGH (Verfassungsgerichtshof) zu kritisieren. Denn das Höchstgericht – und nur dieses – hat das letzte Wort. So lesen sich zumindest viele rechtswissenschaftliche Arbeiten, explizite Kritik findet man in diesen eher selten. Da trifft es sich gut, dass ich Kommunikationswissenschaftler bin. Und mein Unbehagen mit den österreichischen Höchstgerichten besteht nicht erst seit dem unten abgedruckten Widerruf, dessen Logik auf Entscheidungen des OGH basiert. Ich musste nämlich…
1. eine Frage, die ich in einem Blogbeitrag gestellt habe, so widerrufen, als hätte ich eine Tatsachenbehauptung aufgestellt und
2. eine Angabe von zwei von mir anonym gehaltenen Wissenschaftlerinnen über einen vermeintlichen Sachverhalt so beweisen, dass ich nicht die Angabe, sondern den Sachverhalt selbst, der mit dieser Angabe beschrieben wurde, beweisen musste.
Ad 1: Mein Anwalt mailt mir dazu erläuternd: „Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können auch über Tatsachen geäußerte Vermutungen und Verdächtigungen sowie in Frageform aufgestellte Behauptungen Tatsachenbehauptungen sein (OGH 6 Ob 117/19b).“
Ich darf im Folgenden voraussetzen, dass mein Anwalt mit dieser hier fett abgedruckten Darstellung die referenzierte OGH-Entscheidung korrekt wiedergibt. – Dann erlaube ich mir, einzuwenden: Sorry, lieber Oberster Gerichtshof, nicht einmal Du kannst einfach Begriffe beliebig neu definieren. Eine in Frageform aufgestellte Behauptung ist ein Widerspruch in sich, entweder ein Satz ist eine Behauptung oder er ist eine Frage. Der OGH sagt letztlich: Fragen können (auch) Behauptungen sein. Das ist satztheoretisch, mengentheoretisch und analytisch falsch. Die Wissenschaft kennt nur sogenannte „rhetorische Fragen“, die so gestellt sind, dass sie in die Nähe einer Behauptung rücken, etwa „Ist Salzburg nicht prachtvoll?“. Aber dennoch ist dies keine Behauptung, sondern immer noch eine Frage. Wer das verwischt, kann nicht korrekt differenzieren. Oder die österreichische Rechtsprechung hat sich hier ihre eigene (Nicht-)Differenzierung geschaffen.
Ad 2: Mein Anwalt schreibt mir dazu sinngemäß: Wenn in einem Medienbericht eine anonymisierte Person wiedergegeben wird, die die Tatsache X behauptet hat, so muss der Verfasser des Medienberichts im Klagefall nicht nur beweisen können, dass die anonymisierte Person das tatsächlich behauptet hat, sondern überdies auch, dass X tatsächlich der Fall ist. Das sogenannte „Zitierprivileg“ nach § 6 Abs 2 Z 4 MedienG gilt also nicht bei anonymer Zitation (OGH 15 Os 92/11k).
Wenn ich etwa hier im Blog behaupte, dass N.N. den Sachverhalt X behauptet hat, dann muss ich im Klagefall (auch) beweisen können, dass X tatsächlich der Fall ist – und nicht nur, dass es der Fall ist, dass N.N. den Sachverhalt X behauptet hat. Das ist meines Erachtens eine überschießende Forderung des OGH und eine Ignoranz der Unterscheidung von Objektsprache und Metasprache:
„X ist der Fall.“ ist Teil der Objektsprache.
„N.N. sagt, dass X der Fall ist.“ ist Teil der Metasprache.
Wer das verwischt, leugnet eine grundlegende Differenzierung und sprachphilosophische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts im Gefolge von Tarski.
Nun hat jede Wissenschaftsdisziplin ihre „Dialekte“: In der Mathematik meint „Satz“ etwas anderes als in der Sprachwissenschaft, und Philosophen verstehen unter einer „Kennzeichnung“ mit Sicherheit etwas ganz anderes als Wirtschaftswissenschaftler. Aber die österreichische Rechtsprechung kann nicht einfach ein Spezialvokabular einführen, das der breiten Masse unbekannt ist, sich mit Basisdefinitionen der modernen Wissenschaftstheorie spießt und auch dem Hausverstand widerspricht.
Wie war es etwa in der Causa Lena Schilling? Der „Standard“ hat eine Vielzahl von Zeugen anonym zitiert, die allesamt ein in irgendeiner Form sozial abweichendes Verhalten von Lena Schilling behauptet haben. Dem OGH zufolge hätte der „Standard“ nicht nur beweisen müssen, dass diese Vielzahl von Zeugen das tatsächlich gesagt hat (etwa durch eidesstattliche Versicherungen, die dem „Standard“ laut Eigenangabe ja vorgelegen waren), sondern dass die Inhalte des Gesagten tatsächlich der Fall sind bzw. waren.
Schon 1982 hatte ein anderes österreichisches Höchstgericht, nämlich der VwGH, ordentlichen Mist gebaut: Er hat behauptet, dass wörtliche Zitate entweder „unter Anführungszeichen gesetzt oder mit Fußnoten versehen“ werden können:
Quelle: VwGH-Entscheidung 31/07/0230 von 1982, hier S. 8
Das war zu diesem Zeitpunkt seit fast 100 Jahren falsch: Wörtliche Zitate werden in der Wissenschaft immer nur mit Anführungszeichen oder einer sonstigen Hervorhebung versehen, aber nicht nur mit Fußnoten. Aber an das, was der VwGH einmal behauptet hat, muss ja angeschlossen werden, auch wenn es initial Quatsch war.
Und dann gibt es noch die sonderbare OGH-Entscheidung im Fall Heike Egner. Wer diese knapp gehaltene Ausführung durchliest, der wird irritiert feststellen, dass in dieser Entscheidung Aussagen über Verhalten als das ausgesagte Verhalten gewertet werden. Müssen die österreichischen Höchstrichter sich mal philosophisch mit Objekten, Objektsprache und Metasprache beschäftigen? Ich schreibe unter anderem dazu derzeit mein neues Buch. Vielleicht sollte ich es dem OGH widmen und nicht meiner neuen Angebeteten.
Sybille Krämer schreibt „Es gibt ein Bindeglied zwischen [Judith] Butlers Erörterungen der Kategorie ‚Geschlecht‘ und ihrem Nachdenken über Sprache: Das ist die Idee der Performativität, mit der ausgedrückt wird, dass symbolische Handlungen –jedenfalls unter bestimmten Umständen– durch ihren bloßen Vollzug außersymbolische Tatbestände schaffen können.“ und
weiters „Unser Sprechen ist zugleich auch ein Tun. Kaum eine andere Überzeugung ist so nachhaltig eingegangen in die sprachphilosphische Diskussion wie diese von Austin eingefädelte und ein Stück weit auch ausgearbeitete Verknüpfung zwischen dem Sprechen und dem Handeln.“ [Abschnitt 13.1 in „Sprache, Sprechakt, Kommunikation“; Suhrkamp 2017]
Zwar kann man Sprachen bis zu einem gewissen Grad standardisieren, aber sie „gehören“ niemanden, und verändern sich, ob man das will oder nicht. Ferdinand de Saussure geht darauf im Detail in „seinem“ Klassiker „Cours de linguistique générale“ ein. Das wesentliche Stichwort hier wäre „Diachronie“ (siehe z.B. die deutsche Studienausgabe von Peter Wunderli, 2013; Narr Verlag)
Verknüpft man Saussures Ideen mit moderneren (der Sprachphilosophie), dann kann man sich ein Dreieck mit SPRACHSYSTEM – REDE – HANDLUNG denken. Letzteres kann man aus meiner Sicht im Rechtssystem nicht ausblenden, denn letztlich geht’s immer um Akteure (und deren Verantwortung). Zu glauben, man könne alle Art von Fragen abschließend katalogisieren, kommt mir etwas naiv vor. Denn dazu bräuchte es ein viel „starreres“ System wie das in der Mathematik (mit einer klaren Syntax und einer kontextbezogenen klaren Semantik). Ob das dann aber überhaupt praktisch ist, sei ‚mal dahingestellt …
Das heißt freilich nicht, dass man Sprache beliebig verbiegen können soll, denn ohne Regeln gibt’s auch keine Freiheit. Aber die „üblichen“ Regeln definiert halt nicht irgend eine fragwürdig trainierte KI, die nicht einmal ein grundlegendes „Verständnis“ von (menschlicher) Sprache (mit all ihren Dimensionen) hat, sondern sie „wachsen“ in einer Gesellschaft (die ihrerseits auf die „alte“ Sprache aufbaut).
Vielleicht sollte sich Herr Weber ‚mal philosophisch mit Objekten, Objektsprache und Metasprache beschäftigen? (Man beachte den feinen aber wesentlichen Unterschied zur Originalphrase am Ende seines Blockeintrages.) Diese Frage mag zunächst provokativ wirken, tatsächlich aber bezieht sie sich auf einen (persönlichen) Kommentar (per Email) an ihn, bezogen auf sein Buch „Radikaler Lingualismus“ vor mittlerweile über zwei Jahren. In der Zwischenzeit gibt’s aber meine Masterarbeit zum Thema „Einbildungskraft und Formalismus in (mathematischer) Erkenntnis“ https://utheses.univie.ac.at/detail/71912 , in der ich auch am Ende von Abschnitt 2.1 kurz auf die Parallele zwischen Sprache und Mathematik eingehe. Die Frage nach „Objekten“ in der (Philosophie der) Mathematik ist immer noch offen, und relevant besonders dann, wenn man (einfache) Mathematik verwendet –manchmal müsste man sagen: missbraucht– um etwas anderes zu beschreiben (ohne sich Gedanken über die Zulässigkeit der Übertragung in einen anderen Kontext zu machen).
So, wie’s beim Begriff „Theorie“ gravierende Unterschiede zwischen der Verwendung in der Mathematik, der Physik und dem Alltag gibt, so wird’s auch beim Begriff „Tatsache“ (feine) Unterschiede zwischen der in der Rechtssprechung, der Wissenschaftsphilosophie und dem Alltag geben. Erkenntnis, so wie ich sie verstehe, ist in dem Sinne mehr (und „objektiver“) als Wissen, als sie jemanden in die Lage versetzt, den richtigen Kontext zu finden und mögliche Missverständnisse aufzuzeigen.
In wie weit bestimmte (gerichtliche) Urteile problematisch sind, kann und will ich nicht beurteilen. Sie nur aus einer kommunkationstheoretischen Sicht zu betrachten finde ich aber problematisch. Jedenfalls bräuchte man einen größeren Kontext und interessant wäre eine Gegenüberstellung mit verschiedenen Interpretationen, z.B. auf einer Seite von Jurist:innen und gegenüber von Sprachphilosoph:innen und/oder Kommunkationswissenschaftler:innen. Falls es dazu Literatur gibt würde ich mich über Hinweise sehr freuen …
P.S. Hier im Blog gibt’s natürlich auch noch die politische Dimension, die ich der Einfachheit halber ausgeblendet habe.
Sehr geehrter Herr Weber,
Ihr Blogeintrag zeigt wieder einmal, dass Sie sich überschätzen. Sie mögen Kommunikationswissenschaftler sein, aber es fehlen Ihnen grundlegende juristische und pragmalinguistische Kenntnisse. Ich empfehle Ihnen dringend, sich mit Begriffen wie „Implikatur“ und „Präsupposition“ vertraut zu machen. Dann schreiben Sie – hoffentlich! – nicht mehr so einen Blödsinn wie oben unter „Ad 1“.
Mit der nötigen Nachschärfung aufbauend auf das, was Kolleg:in Justizirrtum geschrieben hat, hier ein „Schnellkurs“: Was würden Sie tun, wenn jemand für eine dritte Person wahrnehmbar (u.U. auch für eine breitere Öffentlichkeit) die folgende Äußerung über Sie macht:
„Herr Weber, wann hören Sie endlich auf, Kinderpornographie zu verbreiten?“
Ihrer Logik folgend würden Sie nichts tun, weil das ja „nur“ eine Frage ist. Wenn Sie aber mal überlegen, wie Sie wahrscheinlich reagieren würden, wenn Sie die obige Frage hören, z.B. mit dem Gedanken bzw. der Aussage „Das ist gelogen, denn ich verbreite keine Kinderpornographie!“ (= Negierung einer Tatsachenbehauptung), dann sollte Ihnen klar sein, warum für jede/n Strafrichter:in so eine Äußerung mit größter Wahrscheinlichkeit die Realisierung des Tatbestands nach § 111 StGB (üble Nachrede) wäre – oder vielleicht sogar § 297 (Verleumdung), weil es um § 207a StGB (Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildliche sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen) geht und von der Person, die diese Frage (!) äußert, angenommen werden kann, dass es eine bewusst gemachte falsche Behauptung (!) ist.
In der Hoffnung, Sie ein bisschen weitergebildet zu haben, und mit besten Grüßen,
Dr. Robert
Lieber Dr. Robert!
Danke für Ihren Kommentar.
Ich denke, dass man hier Fragearten unterscheiden muss:
„Wird der Waginger See auch dieses Jahr wieder 27 Grad warm?“ Der Fragende setzt hier voraus, dass der Waginger See in den vergangenen Jahren bereits 27 Grad erreicht hat.
„Wird der Waginger See im Sommer sehr warm?“ setzt indes nur voraus, dass es den Waginger See gibt und dieser sich im Sommer erwärmt.
Das sagt ChatGPT dazu (Prompt: „Kann man Fragearten voneinander unterscheiden, je nachdem, welches Faktensubstrat sie enthalten?“):
Sehr gute und tiefgehende Frage! Man kann Fragen systematisch unterscheiden, unter anderem danach, ob sie ein Faktum (also eine Tatsache) voraussetzen oder nicht. Diese Unterscheidung ist besonders in der Sprachphilosophie, Logik und Linguistik relevant.
Hier eine differenzierte Einteilung:
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1. Fragen, die ein Faktum voraussetzen (präsumptive Fragen)
Diese Fragen setzen implizit oder explizit voraus, dass etwas der Fall ist, und bauen darauf auf.
a) Suggestivfragen
Setzen eine bestimmte Antwort oder ein Faktum nahe:
• „Warum hast du das gemacht?“ – setzt voraus, dass du es gemacht hast.
• „Wie konntest du ihn so enttäuschen?“ – impliziert Schuld und eine Handlung.
b) Implikative W-Fragen
Enthalten eine stillschweigende Annahme:
• „Wer hat das Fenster geöffnet?“ – setzt voraus, dass das Fenster geöffnet wurde.
c) Fragen mit definiten Kennzeichnungen
• „Was hat der Täter getan?“ – nimmt an, dass es einen Täter gibt.
d) Fragen mit eingebetteten Propositionen
• „Warum hat sie gelogen?“ – enthält die Annahme, dass sie gelogen hat.
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2. Fragen, die kein Faktum voraussetzen (neutrale oder offene Fragen)
Diese Fragen implizieren keine Tatsachen, sondern erkunden, ob etwas der Fall ist oder nicht.
a) Entscheidungsfragen (Ja/Nein-Fragen)
• „Hast du das Fenster geöffnet?“ – offen, ob es geschehen ist.
b) Alternative Fragen
• „War es Peter oder Maria?“ – erkundet Möglichkeiten ohne Vorfestlegung.
c) W-Fragen ohne Implikation (kontextabhängig)
• „Was ist passiert?“ – kann offen gemeint sein, ohne anzunehmen, dass etwas passiert ist (aber oft ist ein Kontext gegeben).
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Grenzfälle & Ambiguität
Viele Fragen sind mehrdeutig, je nach Betonung oder Kontext:
• „Weißt du, dass es geregnet hat?“ – kann neutral oder suggestiv gemeint sein.
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Zusammenfassung
Typ Setzt Faktum voraus? Beispiel
Suggestivfrage Ja „Warum hast du das getan?“
Implikative W-Frage Ja „Wer hat das Fenster geöffnet?“
Entscheidungsfrage Nein „Hast du das Fenster geöffnet?“
Alternative Frage Nein „War es Peter oder Maria?“
Neutrale W-Frage (kontextabh.) Nein (nicht unbedingt) „Was ist passiert?“
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Wenn du willst, kann ich das auch in Bezug auf Rhetorik, Philosophie oder KI-Sprachanalyse vertiefen.
Sehr geehrter Herr Weber,
das mit der Frageform ist doch kommunikativ klar wie Kloßbrühe. Wenn man das nicht mit einschließt, dann ist es mit einfachsten stilistischen Mitteln möglich, üble Anschuldigungen in den Raum zu stellen und sich dabei auf die Schutzbehauptung zurückzuziehen, man habe das gar nicht indikativ behauptet, sondern nur Fragen gestellt. Zum Beispiel so:
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Ist Stefan Weber xyz?
Man kann es natürlich nicht genau wissen, aber es könnte schon gut sein, dass Stefan Weber xyz ist. Wäre diese Frage nicht einer näheren Betrachtung und Untersuchung zu unterziehen?
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Da ist keine Behauptung im Indikativ drin, nur Fragen und Konjunktive. Und nun setzen Sie mal gedanklich für xyz etwas so richtig Heftiges ein, zum Beispiel „Kinderschänder“.
Wollen Sie so etwas, medial verbreitet, über sich lesen? Eben.
Antwort an „Österreicher“
D´accord. Wollte nicht einen „überlegenen Zustand der deutschen Justiz“ behaupten und habe ich hoffentlich auch nicht. Aus rechtsstaatlicher Sicht bedenkliche Entwicklungen gibt es auch bei uns – das ist im Grunde ein europaweites Problem.
Worauf wir aber doch geachtet haben, das ist die Wahrung der Autonomie der Universitäten vor der Justiz bei gleichzeitiger Garantie der Rechtsstaatlichkeit. Dass Full-time-Höchstrichter gleichzeitig auch noch an den Unis lehren und sogar an der Universitätsrechtsprechung mitwirken, das gibt es bei uns nicht. Das Umgekehrte ja: dass Professoren (in bescheidenem Maße) auch in der Justiz mitwirken. Undenkbar bei uns, dass ein Verfassungsrichter parallel auch noch full-time an einer Uni Verfassungsrecht lehren und vielleicht auch noch vor dem BVerfG über Fälle mit Universitätsbelang entscheiden würde. In der Justiz mehrere Hüte tragen – dass passt doch nicht!
Dafür haben wir die Konkurrentenklage und eine sehr detaillierte Rechtsprechung bezogen auf universitäres Fehlverhalten. Verbesserungsbedürftig, ja, bspw. gerade in Bezug auf die Plagiatsthematik. Aber die Rechtsstaatlichkeit an unseren Universitäten ist im Großen und Ganzen garantiert. Und das ist gut so.
Das stimmt so nicht, lieber von Spree. Auch in Deutschland gibt es engen Austausch zwischen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung (revisions- bzw. höchstgerichtlich), teils auch in personeller Überlappung. Das prominenteste Beispiel ist Andreas Voßkuhle; auch auf Länderebene gibt es zahlreiche.
Höchstgerichte sind ja oft recht bunt zusammengesetzt hinsichtlich der biografischen und rechtsberuflichen Hintergründe, aber natürlich spielt auch die Rechtswissenschaft eine aktive Rolle. Dafür gibt es sogar die in der VwGO institutionalisierten „Richter im Nebenamt“: Juraprofessoren können bei den deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten dazu ernannt werden, nebenamtlich und auf Zeit.
Im Falle Österreichs sind z. B. alle (!) Richter und Richterinnen des Verfassungsgerichtshofs nur nebenamtlich bestellt, das ist ganz bewusstes Konstruktionsprinzip. Die müssen mindestens 10 Jahre lang einschlägige Rechtsberufe ausgeübt haben, darunter auch den des Universitätsprofessors (für Rechtswissenschaften). Selbstverständlich gibt es Unvereinbarkeitsbestimmungen, primär politischer Natur. Und es entscheiden bei den Revisions- und Höchstgerichten stets Richtersenate aus mehreren, hochqualifizierten, mit Unabhängigkeitsgarantien ausgestatteten Personen – im Falle des österreichischen VfGH sogar die 14-köpfige Vollversammlung.
Antwort an „von Spree“
„Aber die Rechtsstaatlichkeit an unseren Universitäten ist im Großen und Ganzen garantiert.“ – Dem ist leider nicht so. Mit Anke Uhlenwinkel betreibe ich seit 2020 eine Studie zur Entlassung von Professorinnen und Professoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im November 2024 ist im Westend Verlag dazu ein Buch erschienen („Wer stört, muss weg! Die Entfernung kritischer Professoren aus Universitäten). In die dortige Analyse sind 60 Fälle eingeflossen – letztlich nur ein kleiner Teil der Fälle, wie sich allmählich zeigt. Denn seit der Veröffentlichung am 15. November 2024 sind uns bereits weitere 16 vermutliche Fälle bekannt geworden (die wir noch nicht geprüft und verifiziert haben, daher „vermutlich). Die Muster sind eigentlich immer die gleichen, eine verblüffende (und erschreckende) Ähnlichkeit im Ablauf. Gerade beispielhaft nachzulesen in Tichy’s Einblick, den beiden Beiträgen von Klaus-Rüdiger Mai über den Angriff auf die Freiheit von Lehre und Forschung durch das skandalöse Verhalten der Leitung der Universität Würzburg im Umgang mit Prof. Dr. Peter Hoeres und seinem Mitarbeiter .
Der Frage der Rechtsstaatlichkeit der hochschulinternen Verfahren, die vor einer drastischen Sanktionierung erfolgen müsste, haben wir in „Wer stört, muss weg!“ ein extra Kapitel gewidmet, da uns die krass negative Deutlichkeit der Ergebnisse selbst sehr überrascht hatte. Wer glaubt, dass dies „Ausrutscher“ seien, irrt gewaltig, denn in Nordrhein-Westfalen befindet sich derzeit das sogenannte „Hochschulstärkungsgesetz“ vor der Verabschiedung. Der darin befindliche Abschnitt zur „Hochschulsicherhheit“ soll die Hochschulleitungen rechtlich in die Lage versetzen, bereits bei Vorliegen des „Verdachts eines Fehlverhaltens“ (eines Professors/einer Professorin) unmittelbar zu sanktionieren; bis hin zur Entlassung. Wer Universitäten kennt, weiß vermutlich auch, dass ein „Verdacht“ sehr schnell erzeugt ist, gerne auch unter dem Schutz der Anonymität, wegen vermeintlichen „Whistleblowings“. Bereits jetzt schon zeigt sich, dass Hochschulleitung sich gerne solche „behaupteten Verdächtigungen“ zu eigen machen und im weiteren die Behauptungen wie Tatsachen behandeln. Dies wird gerade gesetzlich legitimiert. Ebenso wie die Außerkraftsetzung der grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien wie das Recht auf Anhörung, das Recht auf Stellungnahme, Fairness des Verfahrens, Vertraulichkeit, Transparenz, Unschuldsvermutung (die dazu zwingt, sowohl nach belastenden wie entlastenden Aspekten bezüglich des behaupteten Verdachts zu suchen), das Recht auf Konfrontation mit Beschwerdeführern und das Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes in allen Gesprächen, die das eigene Dienstverhältnis betreffen. – Die von uns untersuchten Fälle zeigen eine erschreckende Rechtsstaatslosigkeit an den Universitäten, nachzulesen in Kapitel 6 unseres Buches. Wenn in NRW das Hochschulstärkungsgesetz tatsächlich in Kraft tritt, ist damit zu rechnen, dass dies die Blaupause für die anderen Bundesländer wird. Die Wissenschaftsfreiheit – und die Rechtsstaatlichkeit – ist damit mit einem Federstrich gestrichen!
Aus deutscher Perspektive (und wohl nicht nur) macht immer wieder sprachlos, was sich in Österreich abspielt. Vielleicht greifen auch ein paar Juristenkollegen aus unseren Landen diese österreichische Rechtsprechung auf. Nicht, dass bei uns alles golden wäre, aber solch eine Rechtsprechung kann ich mir hierzulande nicht vorstellen.
Aber Österreich ist schon eigen, insbesondere wenn ich mir ansehe, wie stark die Justiz in der Wissenschaft präsent ist. Da werden reihenweise Höchstrichter Honorarprofessoren bzw. üben Professoren- und Richterberuf gleichzeitig aus. Zahlreiche Verfassungsrichter sind gleichzeitig full-time Universitätsprofessoren. Unvorstellbar bei uns. OGH-Richter lehren parallel an den Universitäten und werden dann regelmäßig Honorarprofessoren.
Wenn da Universitätsfragen vor Gericht landen, wie sieht es dann mit der Unparteilichkeit aus? Im weiteren Sinne wohl auch eine Frage (nicht gegebener) „Gewaltenteilung“. Ich denke, diese österreichische „Universitätsrechtsprechung“, die so viele Fragen aufwirft, ist auch in diesem Lichte zu sehen.
Völlig Ihrer Meinung, und ich empfehle Ihnen, die fragwürdige Entscheidung in der Causa Hendrik Lehnert zu studieren.
Zur Einordnung der „deutschen Perspektive“ des Kommentators „von Spree“:
Auf Tichys Einblick ist aktuell zu lesen: „Der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof urteilt: Staatsbedienstete dürfen über offizielle Kanäle die AfD diffamieren – Neutralitätspflicht hin oder her. Einer der Richter, SPD-Stipendiat und Ex-Regierungsmitarbeiter, nennt das „Schutz der Demokratie“ – Kritiker sprechen von parteipolitischem Missbrauch der Justiz.“
Weitere Beispiele zum Zustand der deutschen Justiz sind leicht zu finden.
Das Substrat der vom Kommentator geäußerten Kritik an der österreichischen Justiz mag berechtigt sein, aber der von „von Spree“ behauptete (bezogen auf Österreich) überlegene Zustand der deutschen Justiz ist eine Illusion.
PS: Ulrich Berger schreibt auf X:
„Der OGH hat ja auch 2004 erkannt,
‚Wissenschaftlich fundiert können auch Methoden sein, die (noch) nicht Eingang in die Schulmedizin gefunden haben, wie die Homöopathie und die Akupunktur.‘
https://rdb.manz.at/document/ris.just.JJT_20041130_OGH0002_0040OB00217_04X0000_000
Seither wundert mich nichts.“