Hochschul- und Wissenschaftskorruption, Plagiate, Titelmissbrauch: Unsere Enthüllungen des abgelaufenen Studienjahres

Vor der Sommerpause ist die beste Zeit, um das vergangene Studienjahr Revue passieren zu lassen. – Was ist passiert? Das Team Weber hat sich quasi ins Herz der österreichischen Wissenschaftskorruption vorgearbeitet, ist zum Kern der Probleme vorgedrungen. Je deutlicher der systemische Charakter der Probleme zu Tage trat, desto beharrlicher hat das System geschwiegen. Wir machen weiter, bis das System anerkennt, dass es uns nicht ums Nestbeschmutzen geht, sondern um das Gegenteil: Wir versuchen, den Schmutz aus dem Wissenschaftssystem zu entfernen.

UNIVERSITÄTSGESETZ (UG). Ich habe im vergangenen Studienjahr herausgefunden, dass der Fisch vom Kopf her stinkt: Die für unsere Thematik relevanten Grundbegriffe „Plagiat“ und „Vortäuschen“ sind im Universitätsgesetz widersprüchlich definiert bzw. inkonsistent angelegt. Die Dimension des Vorsatzes ist ebenso falsch gedacht. Fehler habe ich in der Folge auch im UG-Kommentar aufgedeckt sowie in der Darstellung der Thematik auf der Website des Wissenschaftsministeriums (BMBWF). – Reaktion der Legisten des BMBWF: Keine.

UNIVERSITÄTSRÄTE. Mein Mitarbeiter Werner Schrittesser und ich haben uns die Mühe gemacht, die von der Bundesregierung bestellten Universitätsräte der 22 österreichischen öffentlichen Universitäten auf ihre vermeintliche Parteifärbung zu überprüfen. Und siehe da: Es ließ sich bei rund zwei Drittel eine eindeutige Zuordnung zu den aktuellen Koalitionsfarben, also entweder zu schwarz oder zu grün, feststellen. Die Absicht des Gesetzgebers wurde damit pervertiert, denn man wollte Personen aus Wissenschaft, Kultur oder Wirtschaft gewinnen und man wollte gerade verhindern, dass das Parteibuch prioritäres Kriterium ist. Wenn sich Universitätsräte allerdings wie der Stiftungsrat des ORF zusammensetzen, wenn also alles nach dem „Parteien-Aufpasser-System“ organisiert ist, kann es keine Innovation und kann es keine Veränderung geben. – Mediales Interesse am Thema: Keines bis auf eine kurze Erwähnung in der „Tiroler Tageszeitung“.

ÖAWI. Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) bleibt auch 2023 ein völlig wertloses Feigenblatt in der Universitätslandschaft, von Reformen kann trotz neuer Führung keine Rede sein. Dies bewiesen drastisch zwei „Urteile“ in meinen eigenen Fällen. Trotz deutlicher Verhinderung meiner Forschungsambitionen, noch dazu zu guter wissenschaftlicher Praxis, also dem Thema der ÖAWI, stellte die ÖAWI einmal fest, dass sie unzuständig sei, und ein andermal, dass halt Aussage gegen Aussage stünde. Da ich es nun am eigenen Leib erfahren habe, wie man von der ÖAWI verhöhnt wird, verstehe ich die Unzufriedenheit vieler Personen, die die ÖAWI in der Hoffnung auf Wahrheit und Gerechtigkeit kontaktiert hatten.

Ich habe einen Ordner mit mehr als 15 Verdachtsfällen, von denen nur bei dreien (Fall Obwexer, Universität Innsbruck; Fall Schwarzenbacher, Universität Salzburg und Homöopathie-Studie, Medizinische Universität Wien) wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt wurde. In den allermeisten anderen Fällen haben sich die Whistleblower frustriert von viel zu langen Entscheidungsprozessen, von unbegründeten Entscheidungen oder von einem Vorenthalten von Informationen durch die ÖAWI an mich gewandt. „Eigene“ ÖAWI-Fälle schon vor meinen GWP-Fällen 2023 wie der Fall Hahn oder der Fall Aschbacher gingen desaströs für die Wissenschaft aus.

ÖFG. Die ÖVP-dominierte Österreichische Forschungsgemeinschaft (ÖFG) cancelte nach politischen Signalen und einigen vehementen Gegnerinnen in ihrem sogenannten „wissenschaftlichen Beirat“ von heute auf morgen eine erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft zum Thema „Gute wissenschaftliche Praxis im Wandel“ mit über 30 Mitgliedern und nach allseits gelobten Seminaren. Die Initiative wird nun ehrenamtlich und abseits der ÖFG weitergeführt, auch ein Trauerspiel für diese etablierte, völlig in die Jahre gekommene Institution mit ihrer altbackenen Website. Man berichtet mir, bei ÖFG-Events würden sich vorwiegend alte Granden zum Wein treffen. Nun ja, sollen sie tun. Mit Wissenschaft hat das halt nichts zu tun.

UNIVERSITÄT SALZBURG. An der Universität Salzburg habe ich im vergangenen Studienjahr gleich drei schwerwiegende Fälle aufgedeckt:

  1. Eine illegale Verlängerung einer befristeten Professur für einen Höchstrichter. Berichtet hat nur der „Standard“, allerdings aufgehängt auf der Gender-Thematik. Das strukturelle Problem einer Missachtung des Universitätsgesetzes und des Postenschachers hat kein Medium aufgegriffen.
  2. Einen ebenso illegalen Zweiervorschlag anstelle des vom Universitätsgesetz geforderten Dreiervorschlag des Senats für die Wahl zum neuen Rektor der Universität Salzburg.
  3. Den jüngsten Skandal um serienweise plagiierte Dissertationen, die im Rahmen eines „Bezahl-Doktorats“ in Riga und organisiert vom dubiosen Promotionsvermittler SMBS – Salzburg University Business School verfasst wurden.

TU WIEN. Plagiate und zum Teil haarsträubende Fehler in Qualifikationsschriften der TU Wien waren sogar dem Deutschlandfunk und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Storys wert. In Österreich wurde das Thema medial ignoriert. Im Herbst wird noch mehr kommen: Das Plagiatsproblem reicht an der TU Wien bis ins Rektorat. Dieses hat es bis heute auch verabsäumt, die bereits angekaufte Plagiatssoftware Turnitin an ihre Lernplattform TUWEL anzubinden. Man wird wissen, warum.


Liste der aufgedeckten Politikerinnen und Politiker im abgelaufenen Studienjahr:

Liste der aufgedeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im abgelaufenen Studienjahr:

Liste der aufgedeckten sonstigen Persönlichkeiten im abgelaufenen Studienjahr:

  • Siegmund Gruber, LASK-Präsident, Plagiat (aufgedeckt von Bernhard Maier)
  • Thomas Schmid, ehedem Finanzministerium, ÖVP, Plagiat
  • Helmut Schreiner, Technik-Vorstand Zillertalbahn, Plagiat

Ach ja, und noch ein Wort zur österreichischen Berichterstattung (tatsächlich nur der österreichischen!): Der Schluss von „keine Täuschungsabsicht festgestellt“ auf „kein Plagiat“ ist so gut wie immer falsch. Insofern sind alle entlastenden Schlagzeilen in Fällen, bei denen Gutachter nicht explizit festgehalten hatten, dass entgegen meiner Auffassung und Dokumentation kein Plagiat vorliege, falsch. Die österreichischen Journalist/innen sind nicht in der Lage, zu differenzieren: Es gibt auch Plagiate, die aus leichter oder grober Fahrlässigkeit heraus entstanden sind. Und das habe wirklich nicht ich erfunden: Das kann man schon bei Albin Eser 1998/99 oder selbst in den Richtlinien der ÖAWI 2015 nachlesen.

Plagiate können ihren Ursprung in leichter oder grober Fahrlässigkeit oder im Vorsatz haben. Und die (Nicht-)Aberkennung eines akademischen Titels impliziert zumindest bei meinen Fällen nie, dass auch ein Nicht-Plagiieren der Fall war.

8 Kommentare zu “Hochschul- und Wissenschaftskorruption, Plagiate, Titelmissbrauch: Unsere Enthüllungen des abgelaufenen Studienjahres

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  1. Franzl

    In keiner Ihrer Quellen steht, dass es leicht fahrlässige Plagiate gibt. Im Übrigen kommt die Gleichsetzung von Plagiaten mit einer Täuschungsabsicht Ihnen zupass, weil ein „Plagiat“ bei Zugrundelegung Ihrer weiten Definition alleine kaum Aufregerpotenzial hätte. Fahrlässigkeit kostet keine akademischen Grade und führt nicht zu Rücktritten. Dann wären Plagiate wohl fast in jeder Arbeit zu finden – ist das eventuell der Hintergrund der weiten Definition?

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Lieber Franzl!

      Das ist richtig.

      Albin Eser 1998: „Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang bewußt oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder sonstwie deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt wird.“

      Die Unterschied zwischen einem Fehler und wissenschaftlichem Fehlverhalten ist sozusagen leichte vs. grobe Fahrlässigkeit. Erst mit der groben Fahrlässigkeit beginnt das wissenschaftliche Fehlverhalten.

      Detto ÖAWI, in Anlehnung an Eser und gemixt mit dem österreichischen Strafrecht: „Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn vorsätzlich, wissentlich oder grob fahrlässig gegen Standards Guter Wissenschaftlicher Praxis (§ 2) verstoßen wird…“

      Nun, wenn Sie meinen Text genau lesen, dann sehen sie, dass ich nicht gesagt oder gefordert habe, dass leichte Fahrlässigkeit wissenschaftliches Fehlverhalten begründet.

      Ich sage nur: Wenn es grob fahrlässige Plagiate gibt (das bestreiten Sie ja nicht, oder?), muss es auch leicht fahrlässige Plagiate geben, sonst würde die Steigerung doch keinen Sinn machen. Oder nicht?

      Man liest ja auch wiederholt: Unabsichtliches Plagiieren, bei vielen Studierenden offenbar ein angstbesetztes Thema. Das wären doch auch leicht fahrlässige Plagiate. Oder nicht?

    2. Franzl

      Ist das:

      „Es gibt auch Plagiate, die aus leichter oder grober Fahrlässigkeit heraus entstanden sind. Und das habe wirklich nicht ich erfunden: Das kann man schon bei Albin Eser 1998/99 oder selbst in den Richtlinien der ÖAWI 2015 nachlesen.“

      dann nicht ein Plagiat, Herr Dr. Weber, wenn Sie Eser und der ÖAWI in den Mund legen, es gebe „leicht fahrlässige Plagiate“?

      Was jetzt genau ein Plagiat ist, darüber kann man trefflich streiten. Lt. Wikipedia soll es ja auch Personen geben, die den Plagiatsbegriff auf „unwissentliche Plagiate“ ausdehnen. Dann ist aber der Plagiatsbegriff in Wahrheit für eine Beurteilung wissenschaftlichen Fehlverhaltens im Wesentlichen nutzlos und man ist auf die Eser‘sche Definition zurückgeworfen, die gewisse Formen des Plagiierens eben miteinschließt. Die Feststellung, dass ein „Plagiat“ vorliegt, würde dann für eine Skandalisierung nicht ausreichen. Wenn aber mit dem Plagiatsbegriff skandalisiert wird, darf es einen nicht wundern, dass die Entlastung vom Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens ebenfalls mit „kein Plagiat!“ übersetzt wird (auch wenn es dem Grunde nach nicht stimmt).

    3. Stefan Weber Beitragsautor

      Eser können wir leider nicht mehr fragen. Ich habe mit ihm öfter korrespondiert. Aber Sie haben ja Recht, Eser und ÖAWI sprechen nur von grob fahrlässigen Plagiaten. Theisen spricht von fahrlässigen Plagiaten. Für „leicht fahrlässige Plagiate“ finde ich nun auch nur mich als Referenz. So gesehen ein Zitierfehler von mir. Keine meiner veröffentlichten Gutachten enthält aus meiner Sicht aber nur leicht fahrlässige Plagiate.

  2. Ralf Rath

    Die Zurichtung menschlicher Arbeitskraft, die es ermöglicht, damit im Vollzug des Gedankens wenigstens für einen Augenblick der letzte Grund der Dinge aufblitzt, findet zu allen Zeiten immer nur eine überaus eng begrenzt verfügbare Anzahl von Trägern. Wie Karl Jaspers bereits vor rund einhundert Jahren kritisiert, sind die Praktiken, die sich angesichts dessen bloß in der Imitation dessen erschöpfen, was das Glück der Menschheit bedeutet, unter der jeweiligen Bevölkerung jedoch sehr verbreitet. Ein Plagiat ist deshalb ein mehr als augenfälliger Ausdruck solcher Nachahmungen ohne einen Funken an Verstand. Eine „globale Qualitätsproduktion“ (Herrigel et al., 2017) entsteht auf diese Weise niemals. Insofern könnte die moderne Vorstellung davon, dass Brandschatzung angeblich straflos sei, kein größerer Irrtum sein. Die sozialen Verhältnisse zumindest schlagen unerbittlich zurück. Will sich eine hochentwickelte Industriegesellschaft somit selbst irreversibel ruinieren, ist gleich welches Plagiat dafür die beste Wahl.

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  3. Quali-Check

    Wenn mal der Augiasstall ausgeräumt werden sollte, wenn dieses völlig inakzeptable UG in seinen Grundlagen abgeändert werden sollte, wenn die Universitäten wieder re-demokratisiert werden, wenn Leistung wieder zählt und nicht nur die Parteibuch-Akademiker und Abkupferer gefördert werden, wenn…

    Ja, wenn das alles geschieht (und es führt kein Weg daran vorbei, wenn Österreich nicht auch akademisch „absandeln“ will – um einen großen Österreicher und Ostexperten zu zitieren), dann wird der Großteil der Akademiker das nicht nur immer schon gewusst, sondern auch gesagt haben. Dozent Weber hat es nur schön ausformuliert, aber das war ja gängige Meinung.
    Er hat einfach mehr Zeit als die vielen großen, mutigen Akademiker, die eben die meiste Zeit auf Tauchstation sind…

    In der gestrigen NZZ-Sonntagsausgabe ist ein schönes Interview mit Wolf Biermann zu lesen. Er meinte spöttisch (zu seinem Kampf um Demokratie und Bürgerrechte): „Wir waren wenige, und es haben viele überlebt…“ Das werden viele über Ihren heldenhaften Kampf an den österreichischen Universitäten sagen!

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  4. Quali-Check

    Was soll man dazu sagen? Angesichts solcher Entwicklungen kann man nur mehr enorm verärgert und angewidert sein. Wie sind solche Missstände in einem Rechtsstaat möglich, der einst ein Hochschulsystem der Spitzenklasse hatte? Diese ganze Günstlingswirtschaft, verbunden mit absolutem laissez-faire, wenn es um die akademische Qualitätswahrung geht?
    Und wo ist hier der Aufschrei der Akademiker? Muss das alles Dozent Weber, sozusagen nebenberuflich, erledigen?
    Versagen des UG gut und recht (hier kann man nur auf einen politischen Wandel hoffen), aber es gibt auch noch eine Eigenverantwortung der Akademiker, dagegen aufzustehen.

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Ja, die Gruppe der Protestierenden ist sehr überschaubar. Vielleicht bilde ich mir das alles ja nur ein, bin ein Internet-Troll, der den „Mächtigen“ etwas ans Zeug flicken will. ÖAWI und ÖFG machen in Wahrheit exzellente Arbeit. Der Ex-Rektor der Uni Salzburg und das Rektorat der TU Wien mach(t)en einen Super-Job. Und der BM sowieso. Oder?

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